Materialbeschaffung: So lösen Sie Lieferprobleme mit Lagerhaltung
Von Mia Pankoke
10.03.2023 | Handwerk-Magazin
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Baustoffe, Gewerbebau, Werkzeug und Maschinen und Zukunftsperspektiven im Handwerk
Das begehrte Gut lagert in einer Halle im rheinland-pfälzischen Herdorf: Solarmodule und Wärmepumpen samt Zubehör, aber auch Fliesen und Dämmmaterial finden sich in deckenhohen, blauen Regalen auf mehreren Ebenen. Das Lager mit seinen stolzen 1.000 Quadratmetern gehört zum Betrieb von Peter Bohl. „Bis zum Bau unseres Lagers vor fünf Jahren haben wir fast wie die Industrie komplett nach dem Just-in-time-Ansatz gearbeitet“, erzählt Co-Geschäftsleiterin und Tochter Johanna Bohl. „Wir haben Material einfach bestellt, wenn wir es brauchten.“ Heute, sagt sie, sei das undenkbar.
Erfolgreich in der Krise dank neuer Gewerbeflächen
Die 24-Jährige leitet gemeinsam mit ihrem Vater den Familienbetrieb, der auf den Bau kompletter Badezimmer, Fliesenarbeiten, Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen spezialisiert ist. Unter den 67 Mitarbeitern sind neben Sanitär- und Heizungsinstallateuren auch Fliesenleger und Elektriker.
Die Lieferkrisen der vergangenen Jahre bekam der Betrieb daher gleich an mehreren Fronten zu spüren. Dafür, dass das Unternehmen trotzdem gut durch die Krisen gekommen ist, gibt es ihr zufolge einen Grund: „Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn wir die neuen Gewerbeflächen zu Beginn der Pandemie nicht gekauft hätten“, erklärt sie. Denn egal, ob Aluminium für die Halterungen der Solaranlagen oder elektronische Bauteile wie Wechselrichter, die Materiallage sei ein einziges Durcheinander. „Zwischendurch konnten wir sogar mal kein Silikon bekommen, ganz egal wo wir angerufen haben“, bestätigt Vater Peter Bohl. Jetzt heißt die Devise: „Wir bestellen, was wir kriegen können.“
Viel Redebedarf
Mit ihrem Lager waren die Bohls der Zeit voraus, viele Handwerker denken erst jetzt in der Hochphase über einen Lageraufbau nach: „Aktuell sprechen mich Handwerker vieler unterschiedlicher Gewerke auf die Möglichkeit eines eigenen Lagers an“, sagt Thomas Melchert. Er ist stellvertretender Geschäftsführer der Handwerkskammer Münster und berät Betriebe in Sachen Prozesseffizienz und Nachhaltigkeit. „Es gibt kaum ein Gewerk, das nicht unter dem Material- und Rohstoffmangel leidet“, betont er. „Besonders große Schwierigkeiten gibt es bei elektronischen Bauteilen, Halbleiterelementen und Motoren“, so der Experte. Eine Befragung des ifo Instituts bestätigt den eklatanten Mangel: Im September gaben rund 65,8 Prozent der befragten Industrieunternehmen an, von Produktionsbehinderungen durch knappe Rohstoffe und Vormaterialien betroffen zu sein. Und wenn die Industrie nicht produzieren kann, steht auch das Handwerk still.
„Viele merken jetzt, dass die günstigen rollenden Lager auch ihre Schwächen haben“, sagt er. „Erst kamen Handel und Produktion durch die Coronapandemie zum Erliegen, dann nahm die Wirtschaft überraschend schnell an Fahrt auf und die stockenden weltweiten Lieferketten kamen nicht hinterher“, erklärt Melchert. Der Krieg in der Ukraine kam noch on top. Obwohl die Lieferketten in manchen Bereichen wieder funktionieren, sieht Melchert nicht, dass sich die Lage für das Handwerk signifikant entspannt. „Zusätzlich werden viele Aufträge im Bau in Abschlägen bezahlt und wenn dann Bauteile fehlen und der Auftrag nicht abgeschlossen wird, zahlen die Auftraggeber auch die letzte Rate nicht“, erläutert er das Problem. „Um solche finanziellen Lücken zu schließen, müssen Handwerker dann auf Eigenkapital zurückgreifen oder Kontakt zu ihrer Bank aufnehmen.“
Hebel gegen Preiserhöhungen
Nur wer schon früh auf ein Lager gesetzt hat, konnte mit Glück noch zu günstigen Zeiten einkaufen und das jetzt für sich nutzen. Die Bohls haben ihr Lager Anfang 2021 fertiggestellt und waren damit gerade rechtzeitig fertig. Geplant war das Lager ursprünglich vor allem für Rohmaterialien. Große Teile wie Solarmodule wollten sie gar nicht lagern, denn die wurden früher direkt per Lkw zur Baustelle gebracht. Die Preisentwicklung in der Pandemie hat sie umgestimmt: „Bis dahin konnte man sich in Jahreseinkäufen Module zu festen Preisen sichern, jetzt gibt es monatliche Preiserhöhungen“, erklärt Johanna Bohl. Das frühe Bestellen und die Lagerhaltung haben sich ausgezahlt. Die Installateure konnten bislang durcharbeiten und Kunden profitieren von einigermaßen stabilen Preisen. „Wir nutzen allen Platz, den wir haben, und warten darauf, dass sich die Materiallage wieder entspannt und man wieder geregelt einkaufen kann“, sagt die 24-Jährige.
Banken denken um
Aus heutiger Sicht ist das Lager ein voller Erfolg. Als Peter Bohl aber 2018 die Idee zum Lagerraum teilte, erfuhr er zunächst Gegenwind. „Banken bewerteten Lager negativ, weil sie Kapital binden.“ Heute ist es genau umgekehrt: Bei der Vorfinanzierung rechnet ihm die Bank seine Lagerhaltung jetzt positiv an. „Unsere Bank sieht, dass uns das Lager betriebsfähig hält“, sagt Bohl.
Jörg Erichsen sieht das genauso: „Heute geht Lagerfähigkeit über Lagerkosten.“ Der Betriebswirt berät kleine und mittelständische Unternehmen und hört von seinen Kunden immer häufiger von Erfolgen mit dem eigenen Lager. Andere wollen wiederum wissen, wie es geht. Der Lageraufbau ist nämlich gar nicht so leicht, besonders in Zeiten von Höchstpreisen am Immobilienmarkt und mangelnder Liquidität aufgrund der Inflation. All das hält Handwerker aber nicht zurück, berichtet Erichsen: „Ich sehe aktuell viele kreative Ideen und Handwerker, die nutzen, was da ist“, erzählt der Berater. „Einige funktionieren Büroräume oder Garagen um oder stellen ihre Verkaufsräume voll.“ Das sei natürlich nicht ideal, doch aktuell gehe Betriebsfähigkeit über alles. Gleiches gilt für die Kosten und Risiken, die ein Lager mit sich bringt. Schließlich müssen Chefs ihre Lagerhaltung vorfinanzieren und riskieren, auf der Ware sitzen zu bleiben, wenn sich die Auftragslage verschlechtert. Experte Erichsen rät trotzdem zu mehr Vorratshaltung als noch vor ein- oder zwei Jahren.
„Oft lohnt es sich, einen Mitarbeiter abzustellen, der sich fest um den Einkauf kümmert, einen Marktüberblick hat und so gute Preise erzielt“, rät Erichsen. „Außerdem sollten Sie immer eine gute Beziehung zu Ihrem Lieferanten pflegen.“ Um sowohl bei der Bestellung als auch beim Lager zu sparen, hat er einen Rat: „Tun Sie sich mit anderen Betrieben, auch ehemaligen Konkurrenten, zusammen.“ Dann ist die Miete geringer und bei größeren Bestellvolumen ist die Chance auf den Zuschlag höher.
Checkliste: Der Weg zum eigenen Lager
Viele Handwerksunternehmer denken derzeit darüber nach, in ein eigenes Lager zu investieren und somit eigene Lagerkapazitäten aufzubauen. Mit diesen sechs Schritten können Sie Ihren bisherigen Just-in-time-Ansatz hinter sich lassen.
- Material, das Sie regelmäßig benötigen, sollten Sie immer vorrätig haben. Legen Sie dazu am besten eine Liste mit unverzichtbaren Rohstoffen und Teilen an. Kommt es dann zu Lieferproblemen, können Sie auf Ihr Lager zurückgreifen und sind auch in Durststrecken betriebsfähig.
- Haben Sie Ihre Liste mit unverzichtbaren Teilen parat, müssen sie sich überlegen, wie Sie diese am besten lagern. Bei elektronischen Teilen sollten Sie aber nicht direkt einen Jahresvorrat anlegen. Sollte ein neues oder besseres Produkt auf den Markt kommen, bleiben Sie vielleicht auf der alten Ware im Lager sitzen. Bei Grundmaterial wie Gipsplatten oder Holzmaterial sieht das ganz anders aus, die kommen nicht aus der Mode. Für solche Teile brauchen Sie aber gut gesicherte und trockene Räume in ausreichender Größe. Andere Materialien wie Ziegel oder Fliesen sind robust, aber auch schwer. Lager und Regale müssen für diese schwere Last ausgelegt sein.
- Wenn Sie wissen, welche Teile unverzichtbar sind und welche Anforderungen die Räume erfüllen müssen, können Sie sich auf die Suche machen. Schauen Sie bei Online-Plattformen oder in der Zeitung nach geeigneten Immobilien oder hören Sie sich bei Bekannten und Nachbarn um. Hier lohnt es sich, kreativ zu sein. Vielleicht existiert eine ungenutzte Garage oder Scheune, die Sie schon gegen eine kleine Miete zum Lager umfunktionieren dürfen. Vielleicht gibt es sogar ungenutzten Platz in Ihrem Betrieb oder Sie haben Mitarbeiter, die Schreibtischarbeit ohnehin gern aus dem Homeoffice erledigen und können Teile von Büroräumen umfunktionieren.
- Sprechen Sie mit anderen Betrieben. Sind diese ebenfalls auf der Suche nach Lagerfläche, können Sie sich zusammentun. Die Lieferprobleme und steigenden Kosten öffnen neue Türen für Austausch und Kooperation und Sie können sich Kosten und Immobilien teilen. Außerdem: Bei Verhandlungen mit Lieferanten ist es vorteilhaft, große Mengen zu bestellen.
- Nun brauchen Sie noch einen Finanzierungsplan. Denn auch, wenn sich Lager aktuell wieder lohnen, binden sie viel Kapital – besonders, wenn Sie teure Teile lagern müssen. Berechnen Sie, wie viel Eigenkapital Sie für das Lager nutzen können, sprechen Sie mit Ihrer Bank oder machen Sie sich über alternative Finanzierungsmethoden wie Finetrading schlau.
- Unterschätzen Sie nicht, dass ein Lager strategisch organisiert und gut aufgeräumt sein muss, damit es Ihnen etwas nützt. Nur mit einem entsprechend organisierten Einkauf und einer Bestandsliste, die immer auf dem aktuellen Stand ist, nützt Ihnen ein Lager. Falls Sie sich diese Organisation nicht zutrauen oder keine Zeit dafür haben, stellen Sie einen Mitarbeiter dafür ab.
Tipp: Hier finden Sie Unterstützung
Erste Anlaufstellen fürs Thema Lagerhaltung gibt es sowohl bei den Handwerkskammern als auch auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene.
Handwerkskammer
Einige Handwerkskammern haben über das normale Angebot hinaus eigene Anlaufstellen für Lieferprobleme eingerichtet. Die Betriebsberater der Handwerkskammern bieten außerdem individuelle Hilfe beim Planen und Einrichten eines optimalen Lagers.
Bund und Länder
Die zentrale Anlaufstelle des Bundes dafür finden Sie unter: kontaktstelle-lieferketten@bmwi.bund.de. Die Kontaktstelle unterstützt sowohl bei Problemen bei der Lieferung von Zuliefererprodukten als auch bei der allgemeinen Rohstoffversorgung. Zusätzlich gibt es in vielen Bundesländern eigene Beratungsstellen für Handwerksbetriebe. Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg haben jeweils Internetseiten unter dem Stichwort „Handwerk International“ eingerichtet. Auf diesen finden Betriebe nützliche Informationen und passende Ansprechpartner. In Sachsen können sich Unternehmen beispielsweise an die Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH (WFS) wenden. Ähnliche Wirtschaftsförderungsprogramme gibt es für jedes Bundesland.
Europäische Union
Ein Netzwerk der Europäischen Kommission, das Enterprise Europe Network (een) hat als Reaktion auf die Herausforderungen durch gestörte Lieferketten eine sogenannte Supply Chain Resilience Platform eingerichtet. Hier vernetzen sich Firmen und sichern internationale Lieferketten. Auch Handwerksbetriebe können sich auf der Plattform registrieren, ein Profil anlegen und nach Kunden und Lieferanten suchen.