Maschinenmanipulation: Jeder zweite Chef duldet das Abmontieren von Schutzeinrichtungen
21.03.2025 | Handwerk-Magazin

Von: Friedhelm Kring
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Arbeitsschutz und Gesundheit, Risikomanagement und Werkzeug und Maschinen
Am Pfingstsonntag 2021 verloren beim Seilbahnunglück am Lago Maggiore 14 Menschen ihr Leben, weil die Verantwortlichen der Seilbahn die Notbremse der Kabine bewusst außer Kraft gesetzt hatten. Eine tragische Schlamperei, die es so in Deutschland nicht geben könnte? Von wegen. Wie eine Umfrage des bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) angesiedelten Instituts für Arbeitsschutz (IFA) bei mehr als 800 betrieblichen Arbeitsschutzexperten zeigt, weiß die Hälfte der deutschen Chefs von Manipulationen an Maschinen in ihrem Unternehmen – und toleriert dieses Verhalten.
Fakt: Maschinenmanipulation an mehr als ein Viertel der Maschinen
„Die Antworten aus der Praxis zeigen, dass mehr als ein Viertel aller Maschinen manipuliert werden, teils sogar dauerhaft", sagt Stefan Otto, Experte für Maschinensicherheit im IFA. Was noch viel erschreckender ist: „Die Hälfte der Befragten gab an, dass die Vorgesetzten von Manipulationen an den Maschinen wissen. Wenn Führungskräfte sich so verhalten, nehmen sie damit in Kauf, dass ihre Beschäftigten Leib und Leben riskieren."
Begriffsklärung: Ab wann genau beginnt eine Maschinenmanipulation
Der oft gehörte Begriff Maschinenmanipulation ist missverständlich. Denn es geht meist nicht um Manipulationen, sprich Veränderungen, an der Funktionsweise der Maschine wie eine höhere Drehzahl oder ein neues Werkzeug, sondern um das Verändern einer Schutzeinrichtung. Laut IFA-Institut ist mit Manipulation „das Außerkraftsetzen und Unwirksammachen von Schutzeinrichtungen an Maschinen“ gemeint.
Beispiele: Hier wird in der Praxis kräftig getrickst
Dieses Manipulieren ist kein technisch einheitlicher Vorgang, sondern kann – je nach Maschinentyp und Sicherheitsfunktion – auf unterschiedliche Weise erfolgen:
- Verkleidungen, Einhausungen oder Schutzzäune werden abmontiert.
- Schutztürschalter werden überbrückt und etwa durch Ersatzbetätiger umgangen, so dass eine Maschine auch bei geöffneter Tür weiterläuft.
- Lichtschranken oder Lichtgitter werden abgeklebt oder überbrückt.
- Zweihandschaltungen oder Zustimmtaster werden ausgetrickst.
Das Ziel einer solchen Manipulation ist meist, dass die Maschine auch ohne die Schutzeinrichtungen weiterläuft. Ob Bequemlichkeit, bessere Sicht, besserer Zugang oder ein schnelleres Beheben von Störungen, solche und ähnliche Vorwände werden meist schnell gefunden. In etwa jedem dritten Betrieb werden laut der aktuellen Umfrage solche Manipulationen durch die Vorgesetzten geduldet.
Die Unfallhäufigkeit steigt, wenn Vorgesetzte wegschauen
In etwa der Hälfte der befragten Unternehmen gab es bereits Unfälle, die auf ein Manipulieren einer Schutzeinrichtung zurückgeführt werden konnten. Diese Unfallhäufigkeit war in Betrieben, in denen Vorgesetzte die Manipulationen dulden, deutlich höher. Wer es genauer wissen will, kann die Auswertung der Umfrage online nachlesen. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa jeder vierte Unfall an einer Maschine durch Manipulieren von Schutzeinrichtungen verursacht wird.
Unmissverständlich klar sein sollte daher: Jedwedes eigenmächtige Verändern und Herumbasteln an einer herstellerseitig vorgesehenen Schutzeinrichtung, ob Überbrücken, Umgehen, Abmontieren, Außerkraftsetzen, Austricksen oder was auch immer, einer Maschine ist unzulässig und strengstens verboten.
Tödliche Risiken beim Instandhalten, Rüsten und Reinigen
Wie die aktuellen, im Oktober 2024 von der DGUV veröffentlichten Zahlen zum Arbeitsunfallgeschehen 2023 zeigen, gehört das Instandhalten, das Rüsten oder das Reinigen einer Maschine zu den besonders gefährlichen Situationen mit hohem Unfallrisiko. Zwar kommt es im Normalbetrieb unterm Strich zu mehr Arbeitsunfällen, doch die Unfälle bei Wartungsaufgaben hatten deutlich gravierendere Folgen: Bei nur 14 Wartungen kam bereits ein Mensch ums Leben. Zum Vergleich: Das routinemäßige Bedienen oder Überwachen der Maschine hat durchschnittlich drei tödliche Unfälle während der gesamten Einsatzzeit zur Folge. Das Risiko, im Normalbetrieb einen schwerwiegenden Arbeitsunfall zu erleiden, ist also um ein vielfaches geringer als bei Wartungsarbeiten.
Die DGUV sieht dies auch als Beleg für die hohe Brisanz von manipulierten Schutzeinrichtungen. Denn die Praxis zeigt, dass Schutzeinrichtungen vor allem „für Aufgaben der Störungsbeseitigung, des Rüstens und der Instandhaltung manipuliert“ werden.
Vorbeugen: Schutzeinrichtungen sollten keine Anreize für Maschinenmanipulation bieten
Die Schutzeinrichtungen an einer Maschine oder Anlagen sind vom Hersteller vorgesehen. Ohne diese und weitere Sicherheitsfunktionen dürfte die Maschine in aller Regel gar nicht in Verkehr gebracht und betrieben werden:
- Schutzeinrichtungen sollten möglichst schwer zu manipulieren sein. Dies ist bereits Aufgabe des Konstrukteurs der Maschine, der etwa an heiklen Stellen Nieten statt Schrauben vorsieht.
- Schutzeinrichtungen sollten das Bedienen oder Beschicken der Maschine und damit verbundene Arbeitsvorgänge so wenig wie möglich einschränken. Wo eine Schutzeinrichtung die Arbeit deutlich erschwert, sollte der Hersteller kontaktiert werden.
- Schutzeinrichtungen sollten auf dem Stand der Technik gehalten werden. Das heißt, es kann bei älteren Maschinen, die schon Jahre oder Jahrzehnte in Betrieb ist, notwendig werden, neuere Sicherheitstechniken nachzurüsten.
Prüfliste: Diese Anzeichen deuten auf Maschinenmanipulation hin
Wenn Chefs und Führungskräfte mit offenen Augen durch den Betrieb gehen, können sie durchaus Hinweise entdecken, die darauf hindeuten, dass jemand eine Schutzfunktion deaktivieren wollte. Wer seinen Maschinenpark kennt und aufmerksam durch den Betrieb geht, sollte aufmerken, wenn
- in der Nähe von Maschinen Materialien oder gar Kleinwerkzeuge herumliegen, für die es dort keinen Grund gibt wie etwa Drähte, Metallstifte, Kabelbinder, Alufolien, Paketband, Münzen oder auch Zangen, Taschenmesser oder Flaschenöffner.
- sich Beschädigungen wie Kratzer, Lackschäden, verbogene Bleche an Stellen zeigen, an denen sie nicht erklärbar sind.
- Sicherheits- und Schutzeinrichtungen überraschend schnell verschleißen oder häufig repariert werden müssen.
- die jeweiligen Spezialschlüssel oder Ersatzbetätiger in der Belegschaft kursieren, statt sich am festgelegten Platz zu befinden.
Wichtig: Auch Software lässt sich manipulieren
Um Schutzfunktionen wie etwa Warntöne auszuschalten wird oft über die Software versucht, Änderungen an der Maschinensteuerung vorzunehmen. Auch hier sollten Vorgesetzte einschreiten und keinesfalls tolerieren, dass der Alarm einfach deaktiviert wird. Besser ist es, in Absprache mit dem Maschinenhersteller oder auch durch den Hersteller selbst die Position oder die Empfindlichkeit der Sensoren anzupassen, damit etwa der nervige Warnton nur wirklich noch im Gefahrenfall zu hören ist!
DGUV-Checkliste: Manipulation von Schutzeinrichtungen verhindern