Gehörschutz korrekt anwenden: Schäden durch Lärm am Arbeitsplatz sind unheilbar!
19.02.2025 | Handwerk-Magazin

Von Friedhelm Kring
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Arbeitsschutz und Gesundheit, Ausstattung, Berufskrankheiten und Risikomanagement
Die von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) formulierten Regeln geben langjährige Erfahrungen aus der Präventionsarbeit wieder. Davon kann jeder Betrieb profitieren, auch wenn die gezeigten Lösungen nicht verbindlich sind.
Die im September 2024 erschienene DGUV Regel 112-194 „Benutzung von Gehörschutz“ ist auf jeden Fall eine solide Informationsquelle, um für die eigene Belegschaft die geeignete Persönliche Schutzausrüstung (PSA) in Sachen Gehörschutz zu finden. Von der Produktkennzeichnung und den Herstellerinformationen über die Gefährdungsermittlung und die Benutzung inklusive Reinigung und Pflege werden viele Fragen beantwortet.
Lärm nicht unterschätzen: Schäden am Gehör entwickeln sich schleichend und sind unheilbar
Gehörschutz ist in die höchste Risikokategorie III eingestuft, das heißt, er steht neben Schnittschutzhosen für Arbeiten mit der Kettensäge oder PSA zur Absturzsicherung. Das mag auf den ersten Blick verwundern, wird jedoch verständlicher, wenn man die Art der Gefährdung nüchtern betrachtet:
- Unserem Ohr fehlt jeglicher Schutzreflex. Vergleichbare Mechanismen wie Niesen, Husten, Blinzeln oder den Lidschlussreflex des Auges kennt das Ohr nicht, es ist jeglichem Lärm hilflos ausgeliefert.
- Gehörschäden verursachen keinen Schmerz und werden daher unterschätzt!
- Gehörschäden des Innenohrs sind irreversibel und unheilbar!
- Der Mensch kann seine Ohren von Natur aus nicht aktiv – wie etwa die Augen – verschließen. Unsere Ohren sind ständig auf Empfang und nur mit externen Hilfsmitteln können wir eingehenden Schall abhalten oder dämpfen.Dazu kommt – und das macht die Gefährdung durch Lärm so tückisch –, dass eine Lärmschwerhörigkeit sich als Berufskrankheit schleichend entwickelt. Die Folgen von Lärmbelastungen bemerkt der Betroffene erst Jahre oder Jahrzehnte später. Auch das beste Hörgerät kann dann niemals die eigene akustische Wahrnehmung ersetzen.
Lärm ausblenden: Welche Typen von Gehörschutz es gibt
Den richtigen Gehörschutz für eine bestimmte Aufgabe zu finden, ist alles andere als trivial. Die DGVU Regel stellt die drei Grundtypen von Gehörschutz vor und nennt ihre Vor- und Nachteile:
- Einfache Gehörschutzstöpsel bieten hohen Tragekomfort und sind bei Dauerlärm meist geeignet. Es gibt viele Typen, aus Schaumstoff, mit Lamellen, mit Schnur oder Bügel, aber nicht jeder verträgt die Stöpsel.
- Kapselgehörschützer („Mickey Mäuse“) kommen eher bei kurzzeitigem Lärm zum Einsatz, wenn Gehörschutz häufig auf- und abgesetzt werden muss.
- Otoplastiken werden individuell nach einem Abguss des Gehörgangs ihres späteren Trägers geformt, sie verschließen das Ohr daher besonders gut.
Bei hohen Lärmbelastungen kann es notwendig werden, unterschiedliche Gehörschutzarten zu kombinieren. Auch das Kombinieren von Gehörschutz mit Atemschutz oder mit Kopfschutz kommt in der Praxis häufig vor, dabei dürfen sich die einzelnen Schutzfunktionen auf keinen Fall gegenseitig in die Quere kommen.
Lärmschutz ist Hightech: Welche Zusatzfunktionen möglich sind
Bei den Kapselgehörschützern ist die Produktpalette sehr breit. Sie reicht von Modellen mit einfacher Dämpfung bis zu solchen mit allerlei technischen Zusatzfunktionen, wie etwa
- pegelabhängige Schalldämmung, die den Außenschall abhängig vom Pegel verstärkt
- der Möglichkeit zur sicherheitsrelevanten Kommunikation über Kabel, Funk oder Bluetooth
- aktive Geräuschkompensation („noise cancelling“) mit frequenzabhängiger Schalldämmung
- Entertainment-Funktionen wie UKW-Radio oder Bluetooth-Anbindung zum Smartphone
Gehörschutz richtig anwenden: So funktioniert es in der Praxis
Gleichzeitig mit der DGUV Regel ist eine neue DGUV Information 212-621 „Gehörschutz“ in kompakter Form auf nur acht Seiten erschienen. Diese Kurzinformation eignet sich als Grundlage für das Unterweisen der Mitarbeiter genauso wie Anhang 5 der DGUV Regel, der das korrekte Einsetzen von Gehörschutzstöpseln Schritt für Schritt zeigt.
Die ein Dutzend Anhänge der neuen DGUV Regel machen zusammengenommen mehr als die Hälfte des Dokuments aus. Hier finden sich etwa
- Vorgaben zur Unterweisung mit praktischen Übungen
- eine Muster-Betriebsanweisung
- Methoden zur Auswahl von geeignetem Gehörschutz
- Rechenhilfen zur Einhaltung der MZE (maximal zulässige Expositionswerte)
- ein Verzeichnis der Abkürzungen von schalltechnischen Mess- und Beurteilungsgrößen
Praxistipp: In Anhang 10 findet sich eine lange Liste mit Dutzenden von Gehörschutz-Herstellern, die über eine EU-Baumusterprüfbescheinigung verfügen und vom Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zertifiziert wurden. Wer Gehörschutz anschafft, sollte sich auf jeden Fall für zertifizierte Modell entscheiden.
Mitarbeiter mit Hörgeräten: Einsatz in Lärmbereichen nur mit speziellen Geräten möglich
Da ein Hörgerät den Schall verstärkt, ist es im Normalfall nicht zulässig, Mitarbeiter mit Hörgeräten bei Lärm einzusetzen. Es gibt jedoch Hörgeräte, die speziell für den Einsatz an einem Lärmarbeitsplatz zugelassen sind. Wen das betrifft, der kann sich im DGUV Grundsatz 312-002 „Hörgeräte zur Verwendung mit einer Gehörschutz-Otoplastik für den Einsatz in Lärmbereichen“ weiter informieren.
Bei solchen und anderen Fragen zum Schutz des Gehörs sollte stets der Betriebsarzt oder die betriebsärztliche Betreuung hinzugezogen werden. Zur arbeitsmedizinischen Vorsorge „Lärm“ gehört definitiv auch eine Beratung zum Auswählen von Gehörschützern. Näheres dazu regelt die DGUV Information 212-823 „Ärztliche Beratung zum Gehörschutz“.