Azubi-Bewerbungsgespräch: Klare Struktur ist wichtiger als Kekse
12.06.2023 | Handwerk-Magazin
Von Kerstin Meier
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Ausbildung
Wer sich für eine Ausbildung bei Barghorn in Brake interessiert, muss nicht lange recherchieren, ob der Betrieb mit den Bereichen Stahl-, Maschinen- und Metallbau etwas für ihn sein könnte: Einfach Name und Mailadresse eingeben, schon landet die Bewerbung des Betriebs im Mail-Postfach des Azubi-Interessenten. „Umgedrehte Bewerbung“, nennt das Firmenchef Gunnar Barghorn, und vergleicht das Werben um neue Mitarbeiter mit dem Werben um neue Kunden. „Arbeitsplätze sind ebenfalls ein vertriebsfähiges Produkt, bei dem ich andere von der Qualität und den Vorteilen überzeugen muss.“
Die Idee, das klassische Bewerbungsverfahren einfach mal auf den Kopf zu stellen, kam dem Chef von 100 Mitarbeitern (darunter 30 Auszubildende) beim Antworten auf Stellengesuche. Die, erzählt der Wirtschaftsingenieur, hätten im Laufe der Zeit immer mehr die Form einer Bewerbungsmappe angenommen. Als er dann seine Mitarbeiter fragte, ob sie ihm nicht auch ein Zeugnis ausstellen könnten, waren die mit Begeisterung dabei, die Bewerbung zum Anfordern war komplett. Seit Oktober 2019 ist das Angebot online. Obwohl Barghorn die Idee noch gar nicht weiter kommuniziert hat, laden pro Woche ein bis zwei Interessenten die Datei herunter. Entweder als Info für sich oder auch zur Weitergabe an einen Dritten, was natürlich ausdrücklich erwünscht ist.
Das Praktikum online buchen
Während sich die umgedrehte Bewerbung gleichermaßen an Fachkräfte und Auszubildende richtet, geht der innovative Unternehmer auch bei der Nachwuchssuche neue Wege: „Die Bewerbungsmappen der Neuntklässler sehen alle gleich aus, deshalb macht das klassische Bewerbungsverfahren bei der Azubi-Suche nach unserer Erfahrung wenig Sinn.“ Wer Interesse an einem Job bei Barghorn hat, kann sich stattdessen online selbst einen Praktikumsplatz buchen und direkt testen, ob die Ausbildung ihm taugen könnte. Nach der Buchung bekommt sowohl die Schule als auch die betreffende Abteilung eine Info über das vereinbarte Praktikum. Der Schüler erhält nicht nur eine Mail, wann und bei wem er sich melden soll, sondern auch einen Gutschein für den Barghorn Online-Shop, wo er sich direkt die passende Arbeitskleidung und Schuhe bestellen kann. Diese erhält er dann am ersten Arbeitstag im Betrieb ausgehändigt und kann dann nach der üblichen Sicherheitsunterweisung direkt mit dem Praktikum starten. „Wir wollen den Schülern möglichst leicht und unkompliziert einen Zugang zu einem Arbeitsplatz ermöglichen, die üblichen Benefits wie frisches Obst oder Ähnliches sind keine Motivation für die jungen Leute“, sagt Gunnar Barghorn.
Taugt der Azubi was? – Die Firmenwerte als Prüfstein
Um herauszufinden, ob die Praktikanten für eine Ausbildung geeignet sind, tauscht sich der Firmenchef jeden Morgen mit seinen Mitarbeitern aus. Dabei geht es nicht um die klassische Arbeitsleistung, sondern vor allem darum, ob ein Praktikant die Firmenwerte wie etwa „faires und engagiertes Arbeiten“ begriffen hat. Wer dann, so Barghorn, den ganzen Tag am Handy spielt und sich nicht einbringen will, für den ist das Praktikum auch schnell mal beendet. Das passiert jedoch eher selten, etwa 80 Prozent der Schüler bekommen schon während des Praktikums einen Ausbildungsvertrag angeboten.
Mit seiner unkonventionellen Vorgehensweise und der umgedrehten Bewerbung macht Barghorn genau das, was Rüdiger Maas „den Unterschied“ nennt. So fordert der Autor der Generation- Thinking-Studie und Gründer des Instituts für Generationenforschung in Augsburg die Arbeitgeber explizit dazu auf, den Bewerbern nach dem klassischen Vorstellungsgespräch die Bewerbungsmappe des Betriebs zuzuschicken. Damit hat der Bewerber laut Maas nach dem Kennenlernen mehrerer Arbeitgeber ein zusätzliches Argument, sich genau für diesen Job zu entscheiden. Vorausgesetzt, die Betriebsbewerbung zielt exakt auf die für die Generation Z wichtigsten Werte ab: ein Arbeitsklima zum Wohlfühlen, feste Arbeitszeiten, eine transparente Überstundenregelung sowie ein Job, der Spaß macht und Sinn stiftet.
Wichtig: Bewerber fair auswählen
Doch wie können es Handwerksbetriebe heute überhaupt schaffen, auf die durchaus anspruchsvollen Anforderungen der aktuellen Azubi-Generation einzugehen? Nicola Pauls, Beraterin und Personalexpertin bei der Handwerkskammer Stuttgart, sieht dazu vor allem das Bewerbungsgespräch als richtigen Rahmen. Zwar ließe sich vieles wie bei Barghorn auch schon während des Praktikums regeln, doch bei einigen Themen ist es nach ihrer Erfahrung sinnvoll, sich einmal in Ruhe zusammenzusetzen und zu reden. Ob das dann am Ende des Praktikums oder bei Nicht-Praktikanten im Rahmen des klassischen Vorstellungsgesprächs passiert, sei letztendlich zweitrangig, entscheidend sei für beide Seiten „ein zielführendes Gespräch“. Um dabei als Arbeitgeber auch alle gewünschten Informationen vermitteln zu können, wächst nach Aussage der Expertin auch bei den Arbeitgebern im Handwerk das Interesse an Leitfäden für ein strukturiertes Interview: „Damit lassen sich nicht nur die Bewerber besser vergleichen, auch der Auswahlprozess wird fairer und transparenter.“
Gute Gespräche = weniger Absagen
Wie die Bewerberstudie des Video-Recruiting Anbieters – Viasto zeigt, gibt es noch ein weiteres handfestes Argument für strukturierte Vorstellungsgespräche: Für stolze 94 Prozent der Bewerber ist eine klare Interviewstruktur ein entscheidendes Qualitätsmerkmal für ein gutes Gespräch. Dabei besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen Gesprächsqualität und Absagequote: Wird das Jobinterview als gut empfunden, sagen nur 19 Prozent der Bewerber anschließend ab, bei einer schlechten Einschätzung beträgt die Absagequote hingegen 46 Prozent. Es lohnt sich also gleich mehrfach, jedes Vorstellungsgespräch entsprechend vorzubereiten. Beraterin Pauls unterstützt Firmenchefs nicht nur dabei, die richtigen Fragen für das Jobprofil zu formulieren, sondern auch zu definieren, wie sinnvolle Antworten aussehen könnten.
Läuft immer: die eigene Wertschätzung zeigen
Sarah Pierenkemper, Referentin beim „Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung“ (KOFA) in Köln, empfiehlt, gerade bei den Auszubildenden den Fokus auf die Potenziale zu legen: „Natürlich sehen viele Bewerbungen ähnlich aus, deshalb sollte der Arbeitgeber im persönlichen Gespräch herausfinden, wie sich etwa die Erfahrungen aus Hobby oder Ehrenamt für den Job nutzen lassen.“ Entscheidend für den so wichtigen positiven Gesamteindruck ist für sie neben einem strukturierten Gespräch vor allem die dem Bewerber entgegengebrachte Wertschätzung.
Die kann sich etwa in Form eines Ausbildungsplans ausdrücken, den der Bewerber im Gespräch ausgehändigt bekommt. Auch eine Info zu den Bahn- und Busverbindungen zum Wohnort oder der Berufsschule zeigt laut KOFA-Expertin, dass sich der Arbeitgeber um die Belange der potenziellen Auszubildenden kümmert. Je authentischer der Chef dabei herüberkommt, umso besser: „Niemand muss sich rhetorisch verbiegen, Unternehmer sollten den Ton sprechen, der auch im Betrieb vorherrscht.“
Wie der aussehen muss, um auf die Werte der aktuellen Azubi-Generation noch besser eingehen zu können, will Gunnar Berghorn mit einem Projekt zur Ausbildung der Ausbilder herausfinden. Dabei werden über 20 Gesellen in monatlichen Sessions ein ganzes Jahr lang von einem externen Beratungsunternehmen in Umgang und Führung der Generation Z geschult. Lohnt sich so ein Aufwand für die jüngsten im Betrieb überhaupt? „Unbedingt“, findet der Firmenchef, „die Generation Z ist toll und engagiert, doch wir müssen denen als Arbeitgeber schon sehr genau sagen, warum sie für den Job bei uns brennen sollen.“
Fahrplan: Mit klarer Struktur bei Bewerbern punkten
Nicht einmal jeder dritte Chef wirkt laut Studie des Video-Recruiting-Anbieters Viasto auf Bewerber gut vorbereitet. Ein fatales Signal, denn wer potenziellen Mitarbeitern so wenig Wertschätzung entgegenbringt, hat kaum Chancen, wirklich gute Kandidaten zu überzeugen. Der folgende Fahrplan zeigt, wie es besser geht.
- Vorbereitung (30 Min.): Wer sollte außer dem Chef noch dabei sein? Welcher (ruhige) Ort eignet sich am besten für das Gespräch? Sind alle Infos zur Firma vorhanden (Beispiel: Ausbildungsplan)? Bei wem soll sich der Bewerber melden? Klären Sie im Vorfeld alle wichtigen organisatorischen Fragen und zeigen Sie damit, wie wichtig Ihnen das Gespräch und der Bewerber sind.
- Phase 1: Begrüßung (5 Min.) Schon die Begrüßung gibt Aufschluss über Ihre Unternehmenskultur: Kennen Sie den Namen des Bewerbers und wissen Sie, woher er kommt? Je besser Sie vorbereitet sind, desto willkommener fühlt sich der Kandidat. Azubis haben in der Regel wenig Bewerbungserfahrung, deshalb kommt es darauf an, ihnen mit ein wenig Smalltalk (Wie sind Sie heute zu uns gekommen?) die Nervosität zu nehmen. Stellen Sie dann alle Anwesenden vor und erklären Sie, wie das Gespräch abläuft.
- Phase 2: Bewerbercheck (15 Min.) Warum haben Sie sich bei uns beworben? Was reizt Sie an diesem Job? Warum sollten wir gerade Sie einstellen? Diese Phase ist die Bühne des Bewerbers. Damit er ins Reden kommt, stellen Sie bewusst offene Fragen und lassen Sie ihn erzählen. Fragen Sie nach seiner Motivation für die Ausbildung bei Ihnen, unterbrechen Sie nicht und halten Sie das Wichtigste stichpunktartig fest. Ganz wichtig: Das Gespräch ist kein Verhör, sondern ein wohlwollendes Kennenlernen mit dem Ziel, die Potenziale des Kandidaten zu entdecken. Das sollte der Bewerber auch spüren.
- Phase 3: Betriebscheck (10 Min.) Jetzt geht es um Sie als Arbeitgeber: Wie läuft die Ausbildung konkret ab? Welche Werte bestimmen das tägliche Miteinander im Team? Was wird von den Auszubildenden erwartet, wie genau sieht ihre Rolle im Betrieb aus? Welche Perspektiven gibt es nach dem Abschluss? Welche Vorteile bieten Sie, die andere Betriebe nicht haben? Erzählen Sie jetzt vor allem das, was der Bewerber nicht sowieso schon von der Webseite weiß. Dazu gehören nicht nur Themen wie Azubi-Vergütung, Arbeitszeiten und Urlaub, sondern etwa auch, ob der Betrieb die Fahrtkosten zur Berufsschule übernimmt.
- Phase 4: Rückfragen Bewerber (5 Min.) Fordern Sie den Bewerber aktiv zu Rückfragen auf! Allein die Qualität der Fragen kann ein wichtiger Fingerzeig zur Eignung des Bewerbers sein. Wichtig: Beantworten Sie auch unangenehme Fragen so offen und ehrlich wie möglich.
- Phase 5: Abschluss und Ausblick (5 Min.) Egal, welchen Eindruck Sie von dem Kandidaten haben: Bedanken Sie sich höflich für sein Engagement und sagen Sie, wie es nun weitergeht. Wann erhält der Bewerber eine Antwort? An wen kann es sich für Rückfragen wenden? Wie sind etwaige Fahrtkosten abzurechnen?
- Nachbereitung (120 Min.): Fassen Sie mithilfe Ihrer Notizen direkt nach dem Gespräch Ihren persönlichen Eindruck zum Bewerber kurz zusammen. Wählen Sie nach Sichtung aller Kandidaten diejenigen aus, die Ihre Kriterien fachlich und menschlich am besten erfüllen. Wenn möglich, testen Sie deren Eignung bei einem Praktikum im Betrieb. Verschicken Sie Zu- und Absagen zeitnah und halten Sie unbedingt die im Gespräch zugesagten Fristen ein! Klappt das nicht, sollten Sie alle Kandidaten über die Verzögerung informieren, um Ihr Image als glaubwürdiger Arbeitgeber nicht zu gefährden.
Schlechte Interviewfragen gibt es in jeder Branche
Je kleiner das Unternehmen, desto schlechter sind laut Bewerberstudie von viasto.com die Fragen an die Bewerber. Die meisten Negativbeispiele von Interviewfragen gibt es im Bereich Handwerk und Dienstleistungen, auch die Verwaltung schneidet schlecht ab.